Dr. phil. Wolfgang Baumann M.A.


KUNSTHISTORISCHES AUS REGENSBURG

 

"Ich bin ein Römer" -
Zum Gedenken an Dr. phil. OSKAR RAITH

"Ich hab die Literatur gefunden. So etwas findet man bei Gumpelzhaimer - der schreibt so was", war die genüsslich formulierte Antwort, in der ein Hauch von Stolz mitschwang. Einige Tage zuvor hatte ich nämlich im Gespräch mit Dr. Raith geklagt, dass ich die Literaturstelle zu einer kleinen, aber bezeichnenden Episode im Leben Dalbergs nicht mehr finden könne. Der Regensburger Fürst und Erzbischof Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) ließ sich von Niedermünster das ottonische Goldkreuz der Königin Gisela in seine Residenz am Domplatz bringen, lass die lateinische Inschrift und gab es das kunsthistorische Kunstwerk flugs wieder den Stiftsdamen zurück.

Wir beide bewunderten Dalberg, der es heute noch so schwer hat in Regensburg, weil er Freimaurer war. Eine Postkarte, die ich in meinem Antiquitätengeschäft unter dem Titel "Regensburg bewundert Dalberg" um ein Marmorporträtrelief Dalbergs inszenierte, hat Oskar Raith mehrfach gekauft und an Freunde versandt; bis nach Rom.

Zum 1000. Todestag der bayerischen Herzogin Gisela im Juli 2007 haben wir uns in den Kopf gesetzt, für die Dompfarrei St. Ulrich in Regensburg eine Postkarte vom Giselakreuz mit den Inschriften in Latein und sowie einer neuen Übersetzung herzustellen. Dr. Raith übernahm den Part der Inschriften, die Ergänzung und Übersetzung. Ich besorgte das Bildmaterial aus München für die beiden Abbildungen unserer Doppelpostkarte und ließ meiner Grafikerin einen Entwurf anfertigen. Der Altphilologe Dr. Raith wartete mit einer Überraschung auf: Er hatte Neues zur Rekonstruktion der Inschrift entdeckt, was bisher in der Literatur nicht erkannt worden war, weil man die Inschrift als Prosa ansah. Auch hier bewies der Altsprachler und Lehrer am Gymnasium der Regensburger Domspatzen (1971-1999), dass auch Inschriften immer wieder neu interpretiert werden müssen; dieser Denkansatz folgte seiner Devise: "Der Epigraph ist von Haus aus ein Buchstabenklauber. Seine Kardinaltugend ist die Pedanterie und die Hauptsünde ist die Großzügigkeit." Latein und die Kultur Roms waren Oskar Raith so innig vertraut, dass er sich selbst als Römer fühlte: "Ich bin ein Römer."

Ergänzend zu unserer Postkarte wollten wir an der Begräbnisstätte der Herzogin Gisela im südlichen Nebenchor der Niedermünsterkirche eine Inschrifttafel im Boden realisieren. Schnell verfasste Dr. Raith den lateinischen Text und faxte ihn mir zu:


"Hoc loco
sepulta erat
GISELA
Konradi regis Burgundiae filia,
coniunx Henrici II. ducis Bavariae,
mater S. Henrici imperatoris
et B. Giselae reginae Hungariae
Obiit 21. Julii 1007."

Die Verwirklichung dieser Inschrifttafel lag ihm sehr am Herzen. Daher wurde umgehend ein von Raith empfohlener Steinmetz zu den Kosten je Buchstabe befragt. Zu einer Ausführung der Inschrift kam es indes nicht mehr.

1958 hatte Oskar Raith in München erstmals das ottonische Goldkreuze für das Grab der bayerischen Herzogin und Mutter Kaiser Heinrich II. und der ungarischen Königin Gisela in der neueröffneten Münchner Schatzkammer gesehen.

Dass der Beitrag zu den Inschriften des Giselakreuzes sein letzter Aufsatz sein und er die Drucklegung nicht mehr erleben würde, sprach er am Telefon eindeutig an: "Der Text liegt nun fertig in der Schublade meines Schreibtisches. Um die Abbildungen soll sich dann Dallmeier kümmern." Am 26. Juli 2009 starb der "Römer" Oskar Raith.

Der letzte Aufsatz von Oskar Raith erschien schließlich nicht in den "Verhandlungen des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg", da bereits vorher das Manuskript in der Zeitschrift "Beiträge zur Flur- und Kleindenkmalforschung in der Oberpfalz", 34. Jahrhgang, Regensburg 2011, S. 129-132 abgedruckt worden war.

Oskar Raith
Die Inschriften des Giselakreuzes

Dieser Beitrag geht nur auf einen Teilaspekt des Giselakreuzes ein: die Inschriften, die nach dem Brauch der Zeit in reichem Maße dort angebracht sind. Sie wurden von den Kunsthistorikern, die sich mit dem Kreuz beschäftigt haben, meistens nur als Nebensache behandelt, verdienen aber eine eingehendere Betrachtung.

Als Grundlage für diesen Beitrag wähle ich den Dokumentarband "Bayerische Frömmigkeit" von 1965 mit seinen ausgezeichneten Abbildungen des Kreuzes.(1) Der beigegebene Text, der auch eine (unvollständige) Abschrift der Inschriften enthält, ist zwar nicht ohne Fehler, aber brauchbar. Nur bei der Behandlung der Inschrift auf den Seitenflächen stütze ich mich auf die gewissenhafte Abzeichnung von Otto Trogmayer.(2)

An dieser Stelle werden geboten:
1. eine buchstabengetreue Abschrift. Dabei müssen freilich aus drucktechnischen Gründen die zahlreichen Zusatzzeichen wegbleiben, mit deren Hilfe der Text erst eindeutig gelesen werden kann.
2. die Umschrift in die heute übliche Orthographie;
3. eine Übersetzung;
4. kurze Erläuterungen.

Das Kreuz trägt drei Inschriften, deren Buchstaben erhaben aus dem Goldblech getrieben sind.

I. Vorderseite

1. Auf dem senkrechten Kreuzbalken über dem Corpus, in 9 Zeilen:

ECCE
SALVS
VITE
[f](3) QVA
MORS
MOR
TVA
MOR
TE

Ecce salus vitae, per quam mors mortua morte.

Siehe das Heil des Lebens, durch das der Tod durch den Tod getötet worden ist!

"Vitae" ist als epexegetischer Genitiv anzusehen, d. h. dass Heil und Leben identisch sind, personifiziert in Christus, der durch seinen Tod den allgemeinen Tod "getötet", d. h. entmachtet und ihm seinen Schrecken genommen hat. Die paradoxe Formel vom "Tod des Todes" stammt von einer Stelle im Propheten Osee (Hoschea), die in der Fassung der Vulgata so lautet: "Ero mors tua, o mors! Morsus tuus ero, inferne!" (Os. 13.14). Sie wird in dem vorliegenden Vers sogar rhetorisch überboten, wozu auch die Klangwirkung des durch Assonanz gebundenen Gegensatzpaares "vite - morte" gehört.

Anmerkungen
(1) Bayerische Frömmigkeit. Kult und Kunst in 14 Jahrhunderten. München 1965. Dort Farbt. XVII, Taf. 46, 47, 48, 49 und Text S. 31 und S. 97 f.
(2) Otto Trogmayer, Crux aurea reginae Giselae, in: Studia archaeologica 5, 1999, S. 431 - 452; die Abzeichnung auf S. 447 (Abb. 5).
(3) Hier sllte "Grossbuchstabe P mit Querstrich" stehen; in Ermangelung dieses Zeichens ist hier "f" gesetzt.

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