Dr. phil. Wolfgang Baumann
ANTIQUITÄTEN UND KUNSTHANDLUNG
gegr. 1909


Klicken Sie auf das Bild, um es in einer Detailansicht anzusehen

 

Reichsstädtischer Rokoko-Cantourgen
in meisterlicher Furniertechnik,
Frankfurt oder Regensburg um 1780

Nussbaum, Birkenmaser und Erlenmaser (?) auf Nadelholz furniert, Intarsien in Ahorn und Zwetschge/Pflaume, originale eintourige Kastenschlösser, originales Einlaßschloß in der Klappe, 2 Schlüssel mit Messingraide aus der Zeit um 1920, Kugelfüße um 1920 erneuert

Höhe ca. 200 cm; Breite 124,7 cm; Tiefe 69,5 cm.

Das dreiteilige Schreibmöbel – à trois corps – besteht aus einem dreischübigen, an der front geschweiften Kommodenunterbau mit Lippentraversen und weit überstehender Platte, einem Mittelteil mit gewölbter Schreibklappe und einem Oberbau mit zwei geschweiften Türen – Cantourgenaufsatz -, auf dem ein zweistufiger Etagerenaufsatz zur Präsentation von Pretiosen aufgesteckt ist.

Auffallend ist die auch sonst bei Regensburger Kommoden der 2. Jahrhunderthälfte zu beobachtende ökonomische Bodenkonstruktion, die lediglich aus einem schmalen Brettrahmen mit dort eingezapften Kugelfüßen ohne einem durchgehenden Kommodenboden besteht.

Die Schlüsselschilder sind in Ahorn intarsiert und vielleicht später intarsiert. Die Schildform mit einer zweipassig geschweiften Oberkante ist nach unten schiffförmig zugespitzt, wie man die Schlüsselschilder von Biedermeiermöbeln her kennt. Zuggriffe besaß das Möbel im 18. Jahrhundert keine.

Die asymmetrischen Zuggriffe im französischen Rokokostil, die mit fünf Schrauben befestigt waren und fünf Löcher hinterließen, waren wie die dritte Generation der Schlüsselschilder eine Hinzufügung der 1. Hälfte des 20. Jh. (Bilddokument)

Das Möbel verzichtete ursprünglich wohl auf jeglichen Beschlag. Dieser Zustand wird wiederhergestellt. Das durchgehende Furnierbild, das auch in den Friespartien penibelst berücksichtigt ist, soll gesehen werden. Beschläge würden diesen Blick auf die zu bewundernde Holzstruktur verstellen.

Der Klappenteil besteht aus zwei übereinander angeordneten Reihen von Papierfächern in Nussbaumholz und rechts aus zwei Schubläden mit Nussbaum furnierten Vorderseiten. Alle Einbauten sind ursprünglich. Die Papierfächer waren später, wohl 1920 vorne geschlossen worden, um als Schubläden zu funktionieren. Diese Maßnahme konnte aber wieder rückgängig gemacht werden. Die Papierfächer besitzen dahinter je ein Geheimfach. Seitliche Arretierungen müssen entfernt werden, um die Geheimlade herausziehen zu können.

Hinter den zwei Türen des Aufsatzes befindet sich die originale Einrichtung bestehend aus einer Mittelwand mit links zwei Fächern und rechts einem Fach und einem ausgeschnittenen Randfach. Hier rechts konnten höher Gegenstände verwahrt werden.

Die gezielte Holzauswahl ist gepaart mit einer akuraten Verarbeitung.Exemplarisch für die hochentwickelte städtische Furniertechnik sei die Verarbeitung bei den Profilleisten hier näher beschrieben: Blindholz ist Eiche. Der Hohlstab ist mit dünnem Nussbaumholz quer furniert, ebenso penibel quer (!) das nur 2 mm hohe Plättchen. Die abschließende Flachleiste ist mit dickem Nußbaumfurnier quer belegt. Für die Schweifung wurde die fertig furnierte Profilleiste in kleine Stücke gesägt und passgenau verleimt. An den Kanten des Möbels sind die Furnierteile auf Gehrung verleimt.

Bei diesem hohen Handwerksethos ist es nicht anders zu erwarten, dass auch die geschwungenen Bandintarsien sehr passgenau eingesetzt sind. Die rahmende Ahornader ist sehr dünn und gleichmäßig verlegt.


Stilistisch passen die Intarsien zur Regensburger Möbelkunst der 2. Hälfte des 18. Jahrhundert; ebenso was die hohe handwerkliche Technik anbelangt. Der Möbeltypus Cantourgen ist mit einem Exemplar in kirchlichem Besitz für die Regensburger Möbelkunst belegt: Dieser Cantourgen wurde für einen Regensburger Abt von einer führenden, höchstwahrscheinlich Regensburger Werkstatt gefertigt.

Provenienz: seit 1920 in Regensburger Privatbesitz.

Zurück